Frage: Herr Reusch, in den letzten Tagen und Wochen war immer wieder von massiven Finanzproblemen unserer Stadt zu lesen. Haben Sie dergleichen schon einmal erlebt?
Reusch: Nein, und ich bin seit nunmehr fast 40 Jahren Mitglied des Stadtrates.
Frage: Was sind denn die Ursachen, die zu der dramatischen Situation geführt haben?
Reusch: Das versuchen meine Fraktion und ich im Moment selber nachzuvollziehen. Dabei ist nicht nur das Ausmaß der Haushaltsprobleme erschreckend, sondern auch, dass offenkundig niemand in der Stadtverwaltung deren Ausmaß hat kommen sehen und den Stadtrat frühzeitig informiert hat.
Auch der Bürgermeister als Chef der Stadtverwaltung scheint die Entwicklung nicht verfolgt zu haben, dabei hat er noch bei seiner Wahl ausdrücklich – ich zitiere ihn – die „Weiterführung einer soliden und verantwortungsvollen Haushaltspolitik“ versprochen.
Frage: Und die CDU-Ratsfraktion?
Reusch: Die scheint im Moment bei diesem Thema komplett abgetaucht zu sein. Ich gehe aber davon aus, dass auch dort alle Alarmglocken geklingelt haben und Entsetzen herrscht. Und sie versucht eifrig, uns als Mitschuldige ins Boot zu holen.
Frage: Wie geht denn nun die SPD-Fraktion mit der Situation um?
Reusch: Wir haben zunächst einmal darauf gedrängt, dass der Bürgermeister dem Stadtrat und damit auch der Öffentlichkeit seine Vorschläge und die der Stadtverwaltung schwarz auf weiß vorlegt, mit welchen Maßnahmen der von ihm vorgelegte Haushaltsentwurf 2023/2024 genehmigungsfähig gemacht werden soll. Der im März vorgelegte Haushalt ist nicht genehmigungsfähig – ein einmaliger Vorgang!
Frage: „Maßnahmen“ meint Kürzungen und Streichungen von städtischen Angeboten?
Reusch: Vermutlich, aber sicherlich wären nicht nur Kürzungen auf der Ausgabenseite denkbar, sondern auch Einnahmeverbesserungen. Ich bin sehr gespannt, wie viel Phantasie der Bürgermeister entfalten wird, um einen soliden und verantwortungsvollen Haushalt 2023/2024 auf den Weg zu bringen. Angekündigt hat er ein Haushaltssicherungskonzept, allerdings erst nach den Sommerferien. Mit diesem will er darlegen, wie er sich eine Reduktion der Defizite auf ein zulässiges und damit genehmigungsfähiges Maß vorstellt. Der Haushalt soll dann im Herbst 2023 vom Rat abschließend beraten werden. Ich bin wirklich sehr gespannt, um welche Kürzungsvorschläge es sich handeln wird und ob die SPD-Fraktion diesen wird zustimmen können.
Frage: Z. Zt. unterliegt alles der sogen. vorläufigen Haushaltsführung?
Reusch: Und das heißt, dass nur Ausgaben getätigt werden dürfen, die vertraglich verpflichtend sind oder Pflichtaufgaben der Stadt darstellen. Der Rat hat da nicht mehr viel zu tun. Die Kämmerin geht strikt vor: ein Neubau der Förderschule ist nicht zulässig. Mehr Container für die provisorische Erweiterung der GGS Niederkassel: nicht zulässig.
Frage: Wie verhält sich die SPD-Fraktion nun?
Reusch: Für uns ist der Erhalt der von Ihnen schon zu Recht erwähnten Lebensqualität unserer Stadt von größter Bedeutung, und dass wir diese auch in den vor uns liegenden Jahren sichern und die Niederkasseler Kommunalpolitik sie aktiv gestalten kann. Bei den Ausgaben handelt es sich z. T. um kleine Positionen, die aber weh tun, wo aber nicht viel zusammenkommt. Bei den Einnahmen hat der Bürgermeister Themen angesprochen: Steuererhöhungen, Parkraumbewirtschaftung, Gebührenerhöhung.
Frage: Eine Erhöhung der Grundsteuer trifft alle – Mieter wie Eigentümer. Droht uns so etwas wie Ruppichteroth, die jetzt bei 1550% liegen?
Reusch: Die Grundsteuer liegt z. Zt. bei 690% – das ist schon oberes Mittelfeld. Je 100% würden die Einnahmen um 1,35 Mio. € steigen. Beispiel: für eine Wohnung, 60qm, würden 100% eine Erhöhung von 275 € um 40 € auf 315 € pro Jahr ausmachen.
Frage: Stadt Niederkassel ist auf Jahre pleite und handlungsunfähig?
Reusch: So könnte man es nach der Lektüre des Haushaltsplanentwurfes des Bürgermeisters zusammenfassen. Ein furchtbar frustrierendes Eingeständnis. Und es liegt jetzt an der Verwaltung und an der CDU-Mehrheit Lösungsvorschläge zu machen.
Frage: Nochmals zurück zur Frage nach den Ursachen.
Reusch: Die bislang genannten Ursachen sind für sich genommen nachvollziehbar, aber sie sind alle seit Monaten bzw. Jahren absehbar bzw. bekannt. Die Pandemie wütet in Deutschland seit drei Jahren, der furchtbare Krieg in der Ukraine seit nunmehr über einem 1 Jahr. Und dass z.B. die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen durch die Stadt nicht ausreichend vom Bund refinanziert wird, ist auch keine Erkenntnis der letzten Tage und Wochen. Dass zum einen sinnvolle und notwendige Investitionen in die Niederkasseler Schulen und zum anderen dann auch deren Folgekosten gestemmt werden müssen, konnte auch niemanden überraschen. Warum also hat der Bürgermeister die Fraktionen erst Ende des Vorjahres von der dramatischen Haushaltslage informiert und bis heute nicht verraten, wie er sich eine Lösung der Probleme vorstellt? War oder ist der städtische Haushalt im Rathaus keine „Chefsache“?